WörthseeHirschkäfer

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Gutachten von Dr. Klaus Kuhn über die

 

Gefährdung des Hirschkäfers (Lucanus cervus) durch den Neubau der Umgehungsstraße von Weßling

 

Der Hirschkäfer ist eines der größten Insekten der europäischen Fauna. Die Art ist mit Ausnahme des Nordens in weiten Teilen Europas verbreitet. Vor allem im Norden ist die Art aufgrund der Waldbewirtschaftung und des Einsatzes von Pestiziden in deutlichem Rückgang und deshalb auf den Roten Listen vieler europäischer Länder zu finden. Obwohl die Art in Deutschland seit Jahrzehnten gesetzlichen Schutz genießt, ist der Hirschkäfer bayern- und bundesweit stark gefährdet.
Der Hirschkäfer wurde in die Berner Konvention (Übereinkommen über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume vom 19.9.1979) und in den Anhang II der Flora-Fauna-Habitatrichtlinie der Europäischen Union aufgenommen. Damit genießt er als eine von wenigen Insektenarten einen besonderen Schutzstatus. Der Hirschkäfer dient dabei als Leitart und Sympathieträger für eine ganze Reihe hochgradig gefährdeter Bewohner alten, mächtigen Totholzes.
Die wichtigste Schutzvorschrift für den Hirschkäfer ist die "Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie" (FFH-RL) der Europäischen Union. Sie bildet zusammen mit der "Vogelschutz-Richtlinie" (VS-RL mit SPA-Gebieten = Special Protected Areas, Vogelschutzgebiete) das europäische Naturschutzprojekt "NATURA 2000", das Arten und Lebensräume innerhalb der EU in einem Länder übergreifenden Biotopverbundnetz schützen und damit die biologische Vielfalt dauerhaft erhalten soll. Wesentliche Bestandteile beider Richtlinien sind Anhänge, in denen zu schützende Arten und Lebensräume sowie einzelne Verfahrensschritte benannt und geregelt werden.
Bayern hat erhebliche Defizite im europäischen Schutzgebietsnetz Natura 2000. Das hat im November eine von der EU einberufene Expertenkonferenz festgestellt. Sie hat alle von den Mitgliedstaaten für die kontinentalen Region vorgeschlagenen FFH-Gebiete überprüft (Schutzgebiete nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie). Der größte Teil Bayerns gehört zu dieser kontinentalen Region. Bayern hat eine besondere Verantwortung für viele der hier vorkommenden Arten und Lebensräume.
Besonders große Defizite weisen die bayerischen FFH-Meldungen beim Schutz von Fließgewässern, Wiesen, Mooren und Buchenwäldern auf. Bei den Schutzgebieten für Arten wurden u.a. Mängel für Frauenschuh, Muscheln, Libellen, Schmetterlinge, Hirschkäfer, verschiedene Fischarten und dem Fischotter genannt.

Der Hirschkäfer wurde bisher für 14 bayerische FFH-Gebiete gemeldet, in denen spezielle Maßnahmen zu seinem Schutz ergriffen werden müssen. Keines dieser Gebiete liegt südlich der Donau, obwohl der Hirschkäfer hier auch Vorkommen besitzt. Die FFH-Richtlinie fordert aber auch eine räumliche Repräsentativität, d.h. es reicht nicht aus nur gute Vorkommen in Nordbayern zu melden, wenn die Art auch in Südbayern vorkommt.

Tabelle 1.

Gebiete, die Bayern zum Schutz des Hirschkäfers als FFH-Gebiet gemeldet hat:

 

Aus Südbayern sind derzeit weniger als 5 Vorkommen aktuell belegt (R. Geiser mündl.):
u.a.

  • Zwischen Murnau und Bad Kohlgrub (Ringler, A. & Siess, W. 1995)
  • Leitenhänge oberhalb Aidenried und Pähl
  • Feilenforst
  • Steinebach/Wörthsee

Im Rahmen der Nachmeldungen die im September 2003 anstehen, ist eine Aufnahme dieser letzten südbayerischen Vorkommen zu einer besseren räumlichen Repräsentanz der Gebietsmeldungen für den Hirschkäfer in Bayern unverzichtbar.

Zur Biologie des Hirschkäfers

Lebensweise:

Bevorzugte Entwicklungshabitate sind vermorschte, große Wurzelstöcke bzw. Wurzelbereiche alter Bäume. Meist werden Eichen bevorzugt.

Lebensraum:

Der Hirschkäfer bevorzugt Wälder mit Altholzbestand, in denen Eichen vorkommen. In der Rheinebene kommt er beispielsweise in trockenen bis frischen Eichen-Hainbuchenwälder vor, allem an lichteren südexponierten Bereichen. Vorkommen werden auch von Eichen-Alleen und Eichen-Einzelbäumen berichtet. Der Hirschkäfer ist auf Altholzbestände mit einem möglichst hohen Anteil alter und absterbender Bäume angewiesen. Das Minimalareal des Hirschkäfers liegt laut Tochtermann (1992) bei 125 Hektar.

Gefährdung:

Ursache für das Aussterben des Hirschkäfers ist der zunehmende Mangel an Entwicklungshabitaten, z.B. durch Roden alter Baumstümpfe oder die Beseitigung alter, anbrüchiger Eichen. Hirschkäfer haben nur eine geringe Ausbreitungstendenz. Sie können den Verlust geeigneter Brutstätten nur in sehr begrenztem Maße durch Ausbreitungsflüge ausgleichen. Jede weitere Verinselung und Isolierung der noch vorhandenen Populationen ist deshalb sehr kritisch zu sehen.
Während der Flugzeit fallen viele Hirschkäfer dem Straßenverkehr zum Opfer (Nüssler 1967). Der Flug erfolgt meist in Bodennähe und ist recht langsam (um 5km/h). Die Flugdauer beträgt meist nur wenige Minuten (3-5 Min.).

Zwei wichtige Faktoren für den Hirschkäfer sind heutzutage knapp, Larvalentwicklungsplätze und Saftstellen. Für die Larven werden große Stümpfe alter, anbrüchiger Eichen, aber auch sonstige großdimensionierte Morschholzstrukturen, z.B. liegende Stammstücke. Als Saftleckstellen benötigt der Hirschkäfer alte Eichen, deren Rinde durch äußere Einflüsse ( z.B. Blitzschlag, Frostriss) "blutende" Stellen aufweist. An diesen Stellen treffen sich Männchen und Weibchen.
Nach Tochtermann (1992) benötigt der Hirschkäfer mindestens 5 Hektar Alteichenbestand (150 -250jährig) oder Einzelbäume im Abstand von 100 Metern auf 500 Hektar. Mehrere naturfaule Stöcke/Bäume mit Stockdurchmessern über 40cm zur Eiablage und Entwicklung. Mehrere Bäume mit natürlichem und anhaltendem Saftfluss. Künstlich herbeigeführter Saftfluss dauert nur 2-3 Tage, dann trocknet er ein. Langfristiger Saftfluss entsteht durch Frostrisse, Pilzinfektionen und Wasserreiser, bei denen der Wundheilungsprozess oft über Jahre anhält. Solche Stellen sind als schwarze Flecken auf der Rinde sichtbar.

Bedeutung des Hirschkäfer-Vorkommens im Raum Weßling/Steinebach

Etwa 800 alte Eichen säumen die Staatsstraße 2068 zwischen Seefeld und Weßling. Die prächtige, unter Naturschutz stehende Eichenallee aus dem 18. Jahrhundert ist eine der längsten und ältesten in Europa.
Graf Anton Clemens zu Törring-Seefeld (1725 - 1812) modernisierte seine Güter, dabei wurde auch Schloss Delling abgebaut und als landwirtschaftliches Gut eingerichtet (heute im Besitze der Stadt München). Ihm haben wir die herrliche Eichenallee an der Staatsstraße nach Weßling zu verdanken, die er um 1770 anlegen ließ.

Die Eichenallee selbst ist wohl aufgrund der geringen Totholzanteile als Larvalhabitat wenig geeignet, wohl aber als Saftstelle für die erwachsenen Käfer. Ausgehend von der Hauptallee gibt es Zweigalleen, wie diejenige von Delling zum Dellinger Buchet, die beträchtlichen Totholzanteil aufweisen. Sie eignen sich sowohl als Brutbäume für den Hirschkäfer als auch als Saftleckstellen. Daneben weisen auch die Wälder (Eichen-Hainbuchen-Wald) zwischen Schluifeld und Wörthsee bemerkenswerten Altbaum- und Totholzbestand auf und müssen deshalb wie auch schon die jüngsten Funde des Hirschkäfers aufzeigen mit zum Lebensraume des Hirschkäfers im Raum Wörthsee gezählt werden.

   

stehendes und liegendes Eichentotholz bei Delling

Nachweise des Hirschkäfers bei Steinebach in den letzten Jahren

Fund: Hirschkäfer Weibchen, Juni 2002
Fundort: Am Steinberg, Gemeinde Wörthsee
leg.: Leopold Heine

Fund: Hirschkäfer Männchen(Totfund), Juli 2002
Fundort: im Garten am Steinberg
leg.: Rainer Gschnaidner

Fund: Hirschkäfer Männchen 30.6.2003
S-Bahn-Unterführung Dellinger Buchet
leg.: Carina Hoppe

unregelmäßige Einzelfunde in den letzten 10 Jahren im Bereich der Kuckuckstrasse und im nördlich angrenzenden Waldgebiet Richtung Weßling (zwischen Taxleiten und Dellinger Buchet)
Nach Auskunft von Dagmar Hoppe, Mitglied im BN Vorstand der Ortsgruppe Wörthsee waren vor 15 - 20 Jahren häufige Funde regelmäßig. Auch von Weßlinger Naturschützern werden im obigen Bereich Einzelfunde bestätigt.

Wenn auch die Hirschkäferpopulation gering sein mag, so ist doch jede Relikt-Population südlich der Donau schutzwürdig und sollte deshalb als FFH-Gebiet gemeldet werden. Umweltminister Schnappauf hat für den Herbst 2003 angekündigt, die Defizite in der bisherigen Meldeliste (also auch beim Hirschkäfer) durch neue FFH-Gebiete abzustellen. Eine Meldung des aktuell belegten Hirschkäfer-Vorkommens bei Wörthsee ist deshalb unbedingt zu fordern.

Gefährdung der Hirschkäfer-Population durch die geplante Straße

Durch die geplante Umgehungsstraße von Weßling wird der Lebensraum der Reliktpopulation des Hirschkäfers im Raum Weßling/Wörthsee weiter beschnitten. Insbesonders die Trennung des potenziellen Lebensraumes der Wälder um Grünsink von den Eichenbeständen bei Delling stellt eine weitere Bedrohung der ohnehin schon kleinen Population dar. Aufgrund der geringen Zahl geeigneter Brutbäume könnte dadurch das Minimalareal unterschritten werden, was zum Aussterben dieser Reliktpopulation führen könnte. Daneben sind durch die zusätzliche Straße auch weitere Verkehrsopfer bei den sehr langsam und tief fliegenden Hirschkäfern zu befürchten.

 

 

Literatur:

  • Brechtel, F. & H. Kostenbader (2002): Die Pracht- und Hirschkäfer Baden-Württembergs. Ulmer Verlag Stuttgart
  • Nüssler, H. (1967): Unser Hirschkäfer und seine Verbreitung in Sachsen. - Naturschutzarbeit Sachsen 9:76-83
  • Ringler, A. & W. Siess (1995): Landschaftspflegekonzept Bayern Band II.14 Lebensraumtyp Einzelbäume und Baumgruppen
  • Tochtermann. E. (1992): Das Spessartmodell heute: Neue biologische Fakten und Problematik der Hirschkäferförderung. - Allg. Forstz. 47(6): 308-311

 

Autor:

Dr. Klaus Kuhn
Ravenspurgerstr. 7
86150 Augsburg
 

 

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